Belgien: Watchdog Europäische Kommission – Bericht zu „kartellrechtlichen Fallen“ im E-Commerce

Die Europäische Kommission („Kommission“) hat am 10.05.2017 den Abschlussbericht über die Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel veröffentlicht. Ziel der im Jahr 2015 eingeleiteten Studie war es, etablierte Geschäftspraktiken im massiv wachsenden E-Commerce aus wettbewerbsrechtlicher Sicht zu beurteilen.

Bedenkliche Geschäftspraktiken
Die Kommission beanstandet insbesondere folgende Geschäftspraktiken bzw. erachtet diese unter bestimmten Voraussetzungen als kartellrechtswidrig:

  • Vertikale Beschränkungen in Distributionsverträgen: Durch die Verpflichtung zum Betrieb eines physischen Verkaufspunkt werden reine Online-Händler unrechtmäßig vom Vertrieb ausgeschlossen (zulässig ist dies, um Qualität oder das Markenimages des Vertriebs zu fördern).
  • Preisbeschränkungen/-empfehlungen: wenn sich diese tatsächlich wie ein Fest- oder Mindestverkaufspreis auswirken. Die Überwachung derartiger Beschränkungen, aber auch der Preise von Wettbewerbern wird durch die Verwendung automatisierter Software zunehmend einfacher. Aufgrund dieser neuen Preistransparenz können Hersteller innerhalb von Sekunden Abweichungen von Preisempfehlungen entdecken und dagegen vorgehen. Eine solche Preistransparenz verringert allerdings die Anreize für Einzelhändler, von Preisempfehlungen überhaupt abzuweichen, was wiederrum zu Preiskollusionen zwischen Einzelhändlern führen kann.
  • Doppelpreissystem (dual pricing): Der Hersteller darf grundsätzlich unterschiedliche Preise von verschiedenen Einzelhändlern für dasselbe Produkt verlangen. Er darf jedoch keine unterschiedlichen Großhandelspreise für dasselbe Produkt vom selben Einzelhändler fordern und die Abweichung davon abhängig machen, ob das Produkt online oder offline weiterverkauft werden soll.
  • Online-Verkauf und Online-Werbung: Beschränkungen des Verkaufs auf Online-Marktplätzen ("Plattformverbote") sind häufig, insbesondere auch geografische Beschränkungen des Online-Verkaufs und der Online-Werbung („Geoblocking“), was zur Folge hat, dass Verbraucher keine Online-Käufe in anderen Mitgliedstaaten tätigen können.
  • Big Data: Die Verknüpfung von Daten, insbesondere die Sammlung, Verarbeitung und Nutzung großer Datenmengen („Big Data“) hinsichtlich sensibler Informationen wie Preise, verkaufte Mengen auf Online-Marktplätzen oder bei Herstellern mit eigenem Vertrieb.
  • Digitale Inhalte und Lizenzvereinbarungen: Vertragliche Beschränkungen in Lizenzvereinbarungen, vor allem deren Laufzeit, weil diese den Eintritt neuer Akteure in den Markt erschweren.

Konkrete neue Verfahren der Kommission
Die Kommission hat am 02.02.2017 Verfahren gegen insgesamt 15 Unternehmen aus den Branchen der Unterhaltungselektronik, Videospiele und Hotelübernachtungen aufgrund des Verdachts der oben angeführten Kartellrechtsverstöße eröffnet.

Politische Schlussfolgerungen der Kommission
Die Ergebnisse dieser Sektoruntersuchung sind für weitere Arbeiten der Kommission von Bedeutung, obwohl unmittelbar keine Legislativinitiative geplant ist. So werden sie jedenfalls bei der zukünftigen Überarbeitung der Gruppenfreistellungsverordnung für Vertikalvereinbarungen, welche im Mai 2022 abläuft, berücksichtigt. Darüber hinaus ist beabsichtigt, die Durchsetzung bestehender EU-Kartellrechtsregeln hinsichtlich der am weitesten verbreiteten Geschäftspraktiken voranzutreiben und diesbezüglich den Dialog mit nationalen Wettbewerbsbehörden zu suchen, um eine einheitliche Anwendung des Unionsrechts zu gewährleisten.

Potentielle Konsequenzen und Handlungsbedarf für Unternehmen
Die für die vorstehend angeführten Praktiken angedrohten Geldbußen können für ein Unternehmen empfindlich hoch sein (bis zu 10 % des weltweiten Konzernumsatzes). Solche Verstöße, die erst fünf Jahre nach Abstellung verjähren, werden der Kommission oder den nationalen Kartellrechtsbehörden oftmals von Kunden oder Lieferanten angezeigt und in der Folge mit Geldbußen geahndet. Unternehmen, die im E-Commerce tätig sind, sollten somit ihre Geschäftspraktiken auf etwaige kartellrechtliche Verstöße überprüfen und entsprechende Vorgehensweisen gegebenenfalls einstellen.

Autorinnen: Christina Hummer & Carine Nsiona