Das Ende der Vertrauensarbeitszeit in Italien?

In Italien wird die Arbeitszeit durch die Gesetzesverordnung 66/2003 zur Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie geregelt. Diese findet grundsätzlich, mit einigen sektorspezifischen Ausnahmen, wie z.B. fliegendes Personal auf sämtliche in der Privatwirtschaft sowie im öffentlichen Dienst beschäftigten Personen Anwendung; eine Ausnahme für Leitende Angestellte gibt es nicht. Auch wenn in der Praxis zumindest in Großunternehmen üblicherweise eine Zeiterfassung stattfindet, ist eine entsprechende (ausdrückliche) Pflicht weder gesetzlich noch durch die Rechtsprechung normiert. Art. 5 der genannten Verordnung beschränkt sich vielmehr auf die Feststellung, dass Überstunden gesondert zu berechnen und zu vergüten ist, ohne dass daraus eine konkrete Erfassungspflicht folgt. In der Praxis ist es mithin weit verbreitet, dass (mangels verlässlicher Zeiterfassung) keine korrekte Vergütung der geleisteten Überstunden erfolgt. Zudem entspricht es der vertraglichen Praxis, dass für Angestellte in Leitungsfunktionen vertraglich eine pauschale Vergütung sämtlicher Überstunden festgelegt wird und der Mitarbeiter ausdrücklich von der Pflicht zum „Abstempeln“ befreit wird. Schließlich ist die Form des sog. „Smartworking“, d.h. der ortsungebundenen projektbezogenen Arbeitsweise sowohl in der Privatwirtschaft als auch im Öffentlichen Dienst deutlich im Vordringen, bei der bislang davon ausgegangen wird, dass dies konzeptionell nicht mit rigiden Arbeitszeitmodellen vereinbar ist.

Angesichts der zuvor beschriebenen Realitäten der italienischen Arbeitswelt erscheinen Maßnahmen zur Umsetzung der durch den EuGH formulierten Vorgaben unerlässlich. Während das Bundesarbeitsgericht in seinem Beschluss daran anknüpfte, dass sich bereits aus der bestehenden gesetzlichen Regelung eine Pflicht zur Erfassung zumindest der Überstunden ableiten lässt, gilt dies nach aktueller Gesetzesinterpretation in Italien nicht. Ebenso wie (bislang) in Deutschland geht man auch in Italien davon aus, dass insbesondere das durch den EuGH eingeforderte Kriterium der „präzisen Erfassung“ einen gesetzgeberischen Eingriff erfordere. Da in Italien viele Aspekte des Arbeitslebens in Kollektivvereinbarungen geregelt sind, wäre es auch denkbar, dass die Thematik durch die Sozialpartner aufgegriffen wird. Nicht ausgeschlossen erscheint es jedoch, dass auch die italienische Gerichtsbarkeit früher oder später die Geduld verliert: Aus der unstreitig gesetzlich normierten Pflicht zur Vergütung von Überstunden und der ebenfalls gesetzlich normierten Vorgabe den Rückgriff auf Überstunden „einzuschränken“, lässt sich sicherlich, mit einem ähnlichen „Trick“, wie ihn das deutsche Bundesarbeitsgericht angewandt hat, auch die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit ablesen, da es anderenfalls kaum möglich ist zu bewerten, in welchem Umfang Überstunden tatsächlich geleistet werden. Unstreitig ist, dass Änderungen erforderlich sind; die Zukunft wird zeigen, auf welche Weise dies geschehen wird.



Autor: Florian Bünger