Justitia 4.0 – das Für und Wider digitaler Gerichtsprozesse und Notariatsakte in Italien

Nach der digitalen Agenda der EU wurden in Italien viele Maßnahmen zur Digitalisierung von Zivil- und Strafprozessen ergriffen. Insoweit betrafen die wichtigsten Investitionen die Informatisierung des Friedensgerichts und des Amts für Zustellungen, Vollstreckungen und Proteste. Vor allem hat die Pandemie dazu beigetragen, dass zunehmend digitale Gerichtsverfahren mit mündlichen Verhandlungen über MS Teams abgehalten werden, sodass die diesbezüglichen bereits bestehenden Vorschriften Anwendung gefunden haben.

Seit 2010 besteht zudem die Möglichkeit, digitale Notariatsakte durchzuführen. Dies ermöglicht einerseits den Fachkräften, z.B. autonom Hypothekenanfragen sowie Katastervermessungen festzustellen, andererseits der öffentlichen Verwaltung, dank Sicherheitssystemen wie der digitalen Signatur die Datenbank zu aktualisieren und somit digitale Eintragungen ins Handelsregister vorzunehmen.

Infolge der Corona-Pandemie wurden die bereits zur Verfügung stehenden Instrumente zur Durchführung digitaler Gerichtsprozesse auch in die Praxis überführt. Während die elektronische Einreichung von Akten sich bereits durchgesetzt hat, sind digitale Gerichtsverfahren etwas Neues, sodass ihre Regelung noch lückenhaft ist. Dennoch haben sich Videokonferenzen nun praktisch als Standard durchgesetzt.

Die digitalen Gerichtsverfahren werden mit Teams durchgeführt, wobei ein virtueller Sitzungssaal geschaffen wird. Der Richter muss innerhalb einer angemessenen Frist den Parteien Datum und Uhrzeit der Verhandlung, sowie den Link zum virtuellen Raum mitteilen. Nach der Herstellung der Verbindung und dem Nachweis der Identität der Parteien wird die Rechtssache verhandelt. Insoweit ist es allerdings zu beachten, dass die Regelung wesentlicher Rechtsinstitute wie die Zeugenbefragung noch fehlt. Die Frage der Anwesenheit der Parteien stellt sich hingegen nach dem italienischen Prozessrecht nicht.

In Italien haben wir bereits mehrfach an digitalen Gerichtsverhandlungen teilgenommen: die praktische Abwicklung ist sehr einfach - einige Tage vorher erklären die Parteivertreter ihr Einverständnis und geben die für den Zugangslink zu verwendende Mail-Adresse an; als Plattform wird Microsoft Teams verwendet. Zu der angegebenen Zeit wird der virtuelle Konferenzraum freigeschaltet und, nach einem ausdrücklichen Hinweis auf das Verbot die Verhandlung aufzunehmen, läuft die Verhandlung dann ganz "normal" ab. Das Sitzungsprotokoll wird dann mit digitaler Signatur versehen auf den üblichen digitalen Kanälen, d.h. per zertifizierter Mail und über die elektronische Gerichtsakte versandt. Die Erfahrung mit Sitzungen in Videokonferenz hat landesweit eine Debatte über eine grundlegende Reform des Zivilprozesses und insbesondere über Sinn und Unsinn verschiedener Sitzungstermine angestoßen, um eine größere Verfahrenseffizienz zu erreichen.



Autor: Florian Bünger