Polen: Justitia 4.0 – das Für und Wider digitaler Gerichtsprozesse und Notariatsakte in Polen

In Polen finden digitale Gerichtsprozesse vor allem in Zivilsachen statt. Angesichts der COVID-19-Pandemie wurden in den letzten Monaten neue Vorschriften eingeführt, nach den die Gerichtsverhandlungen ausschließlich in digitaler Form durchgeführt werden dürfen. Nur in Ausnahmefällen darf eine Verhandlung "live" stattfinden. In der Praxis beobachten wir jedoch, dass sich vor allem die Gerichte in größeren Städten an diesen Regeln halten. In kleineren Städten werden mehrere Verhandlungen nach wie vor in "analoger" Form durchgeführt.

Seit September wird auch die Gerichtspost grundsätzlich nur mittels einer elektronischen Plattform der Gerichtsbarkeit und nicht in Schriftform zugestellt. In Strafsachen sind digitale Prozesse etwas noch etwas Ungewöhnliches. Das Gleiche gilt für die elektronischen Notariatsakte, insbesondere sind elektronische notarielle Urkunden noch nicht gesetzlich vorgesehen.

Die Gerichte verfügen über zwei Plattformen: die eine dient der Durchführung von digitalen Verhandlungen und die andere der Zustellung von Gerichtspost. Leider ist die erstgenannte Plattform mit vielen Makeln behaftet und es kommen oft Probleme mit der Audio- oder Videoübertragung vor. Insbesondere problematisch scheinen dabei die sog. hybrid Verhandlungen, wenn sich eine Partei (etwa ein Dolmetscher oder Sachverständiger) im Gerichtssaal befindet und alle anderen vor ihren Computern sitzen. Obwohl die e-Verhandlungen keine Ausnahme mehr darstellen, bleiben viele praktische Probleme nach wie vor ungelöst – zB wie dem Zeugen ein Dokument präsentiert werden soll, damit er dazu Stellung nehmen kann. Positiv zu bewerten ist wiederum die Tatsache, dass die Verhandlungen immer aufgenommen werden, egal ob digital oder analog durchgeführt, und die Aufnahmen den Parteien zur Verfügung gestellt werden.

Derzeit darf in Polen eine notarielle Urkunde in elektronischer Form nicht erstellt werden. Möglich ist aber etwa, die Übereinstimmung einer Kopie oder eines Auszugs mit dem vorgelegten Dokument elektronisch bescheinigen oder einen elektronischen Auszug aus einer notariellen Urkunde erstellen zu lassen. Ein solcher Auszug hat die Rechtskraft eines Originals. Wir nutzen diese Möglichkeit vor allem bei grenzüberschreitenden Mandaten. Außerdem übermitteln die Notare elektronisch Informationen über notarielle Urkunden an das Unternehmerregister und nehmen notarielle Urkunden, an deren Erstellung sie mitgewirkt haben, in ein spezielles e-Verzeichnis auf. In der Praxis ist diese Lösung besonders nützlich im Zusammenhang mit der Einführung einer Verpflichtung für Unternehmer, ab Juli 2021 alle Änderungen im Unternehmerregister elektronisch zu melden. Ferner existiert zudem ein elektronisches Erbschaftsregister, in das die Notare insbesondere die Informationen über eingetragene Erbscheinsurkunden eintragen.



Autor: Karolina Knysak